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Kurs halten in stürmischen Zeiten

Rückblick

Man kann keine neuen Ozeane entdecken, wenn man nicht den Mut hat, die Küste aus den Augen zu verlieren
André Gide

Mit dem Satz, dass eine Reise von 1000 Meilen, mit dem ersten Schritt beginne,
haben wir 2014 unsere Rubrik Aufbruch überschrieben. Wir haben ein Modellprojekt konzipiert, verhandeln konnten wir es als solches nicht – zu individuell erschienen die von uns formulierten Bedarfe, zu besonders die Klientel. Wir mussten uns sowohl auf der Angebotsseite bescheiden (und auf eine Wohngruppe dauerhaft verzichten), zunächst „nur“ mit eine strukturierten Tagesgruppe beginnen, als in Kauf nehmen, „irgendwo“ zugeschlagen zu werden, um überhaupt finanziert zu werden. Auskömmlich für unser Angebot und unsere Leistungen war und ist dies nicht. Umfangreiche Bedarfe mussten dennoch realisiert werden. Wir haben uns entscheiden damit zu leben, dass man für uns „keine neue Hilfegruppe aufmachen“ werde. Seit 2017 haben wir ein Angebot für Ambulant betreutes Wohnen im eigenen Wohnraum.  Seither hat sich vieles in der sozialen Landschaft verändert.

Was wir haben - worüber wir verhandeln

Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen
Aristoteles 

Die Absicht im BTHG (Bundesteilhabegesetz) den Hilfesuchenden an der Hilfeplanung zu beteiligen, ihn in die Bedarfsermittlung mit einzubeziehen und die Hilfeleistung als wählbare Leistung unterschiedlicher Anbieter zu gestalten, ist absolut positiv zu bewerten. Wir haben damit die Hoffnung verbunden, dass die Unmöglichkeit einer eigenen Leistungsgruppe nun durch die Möglichkeit der tatsächlich bedarfsgerechten Versorgung und entsprechend auskömmlich finanzierter differenzierter Angebote abgelöst werden könnte. Die Grundlage für die Darstellung der Bedarfe ist nun in Richtung der Beschreibung von erforderlichen Funktionen, der Möglichkeiten und Einschränkungen vorzunehmen und damit personenzentrierter und individueller möglich.

Die damit verbundenen Veränderungen sind ausgesprochen umfangreich und erfordern neue Verhandlungen und neue Abläufe auf Seiten der Kostenträger. Wir haben unsere „Hausaufgaben“ im Jahr 2021 erledigt. Wir haben neue Konzepte und Leistungsbeschreibungen erstellt, sie mit den neun Lebensbereichen des ICF (International Classifikation of Functioning, Disability and health) verbunden und im Detail ausformuliert, was dies für unsere Klientel bedeutet. Die differenzierte Darstellung, wie unser vielfältiges und gerahmtes Angebot eine Anpassungsleistung an einen Lebensraum ermöglicht, einen Lern- und Übungsraum bereitstellt und wie das Lernen von lebenden Systemen beidseits (Klientinnen, Mitarbeitende und Umfeld) erfolgreich funktionieren kann, umfasst 200 Seiten.  Bisherige Verhandlungen zeigen leider eher auf, dass die Fähigkeit diese Klientel in ihrem besonderen Bedarf auch in der Beantragung und Umsetzung des Bedarfs zu verstehen und bisweilen wohl auch die Bereitschaft, diese spezifischen Bedarfe dissoziativer Menschen (oft mit organisiertem Hintergrund) auskömmlich zu finanzieren, nicht gegeben ist. Erneut finden wir uns in einer Situation wieder, in der der Bedarf, seine Realisierung gerade an der Stelle individuell-angepasster Angebote in Frage steht, der Mitarbeiterbedarf ebenso wie die Gruppengröße von Angeboten zur Disposition steht. Da dies die Kernmerkmale unseres Handelns umfasst und sich dann auf die Möglichkeit der Umsetzung individuellen Hilfebedarfs, der Formulierung von spezifischen Hilfeplänen und deren konkreter Umsetzung im Einzelfall auswirkt, sind wir wieder einmal bei einer Reise von 1000 Meilen und beim ersten Schritt – von einem erfolgreichen Abschluss von Verhandlungen sind wir noch sehr weit entfernt.

Wir immer sind wir im Tun schon um Längen weiter. Was immer wir an Berichten und Anträgen formulieren, was immer wir im Alltag tun, die zugrunde liegende individuelle Ausrichtung realisiert sich auch in unserer Berücksichtigung von kleinen strukturierten Einheiten mit nur wenigen Personen bei Poolangeboten. Viele-sein sorgt ohnedies dafür, dass unsere Gruppen weit vielfältiger sind und unser Angebot als Lern-, Experimentier- und Lebensraum; als erste Schritte in die Sichtbarkeit und hin zu der Entwicklung des eigentlichen Selbst und einem Leben in Selbstbestimmung nicht dort endet, wo ein Angebot vorgehalten wird. Und auch, wenn unsere Klientel in anderen Einrichtungen auch „vorkommt“, so ist dies nicht gleichbedeutend damit, dass dort dann deren Bedarfe so umfangreich in einen Entwicklungsprozess eingebunden sind. Wir gestalten gemeinsam Zukunft und Selbstbestimmung und jedes Angebot muss sich daran messen lassen, dass sich dieser Anspruch sichtbar darin verwirklichen lässt.

Tageseinrichtung

Wir realisieren einen differenzierten Tages- und Wochenplan in der Tageseinrichtung. Fortlaufend geschultes Personal bietet in einem großen eingerichtetes Haus mit großzügigem Garten und unter Nutzung der zusätzlichen Möglichkeiten für Sport und Aktivitäten in der Umgebung vielfältige spezifisch zugeschnittene Rahmenangebote. Das inhaltliche, wie das Platzangebot reicht deutlich über das innerhalb der Eingliederungshilfe bestehende „Soll“ hinaus.

Wir bieten fünf Tage die Woche und zusätzlich an besonderen Fest-/ Feiertagen, die problembehaftet sind, ein strukturiertes Ganztagesangebot. Hierbei liegt der Fokus auf Angeboten im Miteinander in sehr kleinen betreuten Gruppen, der Möglichkeit der individuellen Auswahl gleichzeitig angebotener Möglichkeiten. Ergänzend kommt eine Bezugsbetreuung hinzu, die die Klientin dabei unterstützt, ihren individuellen Entwicklungsprozess im Blick zu behalten und immer wieder individuell anzupassen.

Wir legen großen Wert auf Transparenz, Feedback und Austausch; sowie auf ein Miteinander, das sich bewusst zum traumatischen Lebens- und Anpassungsraum abgrenzt. Förderliche Entwicklungsbedingungen zu schaffen und zu leben, bei der Realisierung bislang verschlossener Möglichkeiten zu helfen, aber auch hinderliche und destruktive Grenzen zu erkennen, zu überwinden, eigene Ressourcen bei der Gestaltung eines selbstbestimmten Lebensraum nutzen zu lernen, beschreiben unsere Zielsetzung.

AiW - Assistenzleistungen im individuellen Wohn- und Lebensumfeld

Innerhalb der Assistenzleistungen im eigenen Lebensraum (früher ABW) sind viele Aspekte zu bedenken. Klientinnen, die mit umfänglicher Aufspaltung zu tun haben, haben zu Hause oft andere Anteile aktiviert als die, die wir in der Tageseinrichtung sehen und diese können sich wieder unterscheiden von denjenigen, die zum Beispiel beim Arzt- oder Behördenbesuch sichtbar werden. Auch innerhalb von Orten oder gegenüber unterschiedlichen Personen ist die Zusammensetzung nicht automatisch stabil und eine Zusammenarbeit zwischen Anteilen ist nicht zwingend in andere Kontexte übertragbar oder einmal erworben in allen Bereichen stabil.  Viele Hilfsbedarfe sind erst vor Ort sichtbar, viele schambehaftet, manche auch der Betroffenen selbst nicht durchgängig zugänglich oder extrem schambehaftet. Dissoziation ist ohnedies häufig in der Unsichtbarkeit. Manche Funktionen können zunächst problemlos erscheinen, bis deutlich wird, wie diese durch einen schädigenden, traumagebundenen Funktionsmodus realisiert werden. Andere können erst nach und nach eingestanden oder überhaupt beansprucht werden. Das Fahr- und Wegetraining, Vorbereitung von Behördenbesuchen, Begleitung bei Arztkontakten bis hin in sehr private Bereiche und Fragestellungen bei der Realisierung täglichen Bedarfs.

Ausblick

Man kann das heute nicht erkennen, wenn man das gestern nicht sehen will
Irisches Sprichwort

Es hat sich viel bewegt. Und es muss sich noch viel mehr bewegen. Die Anerkennung von organisierter ritueller Gewalt und Mind-Control als Realität ist noch ein weiter Weg. Noch immer, trotz aller Öffentlichkeit, Foren, Arbeitskreise und Plattformen zum Austausch – und wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Dissertationen zum Thema... es bleibt viel zu tun und damit bleibt die Anspruchsberechtigung der Bedarfe dieser Klientel und die konkrete Beanspruchung und Umsetzung immer noch eine sehr mühsame Sache. Sicherheit als Teil des Sozialrechts (ohne den Nachweis führen zu müssen, dass sie zunächst bedroht wurde), bezahlbarer Wohnraum, öffentliche Hilfen, die über Einmalzahlungen hinausreichen, angemessene Entschädigungsleistungen in angemessener Zeit sind die eine Seite. Die andere zeigt sich immer noch im öffentlichen Raum, in der Diskreditierung von Helfern, dem Bezweifeln, dass es diese Art von Gewalt, von Dissoziation etc. wirklich gibt, Veröffentlichungen die bewusst eine direkte Verbindung zu Verschwörungstheorien zeichnen.

Manchmal tragen aus unserer Sicht auch wohlmeinende Helfer dazu bei, dass es Vertretern von False-Memory-Theorien, Dissoziationsleugnern, Anhängern der Idee es sei alles Verschwörung aber auch Täterkreisen (die damit weiterhin unsichtbar bleiben) leichter gemacht wird, die Realität dieser Gewalt erfolgreich in Frage zu stellen. Es ist immer gut sich gewahr zu sein, wie leicht jede eigene Äußerung auch diskreditiert, aus dem Zusammenhang gerissen und für andere Zwecke genutzt werden kann. Und es ist leider auch mitzudenken, dass auch Menschen zum Werkzeug gemacht worden sein können oder sich uns anders präsentieren, als vermeintlich wohlwollende Journalisten, um diese Diskreditierung mitzutragen.

Wenn im Mittelpunkt der Darstellung organisierter Gewalt nicht Formen der Organisation und Systematik der Folter bei der Beschreibung von Überlebensräumen stehen, sondern die typischen Beigaben der Sensationspresse für Satanismus und Gewalt stehen, wird die Vermittlung dieser Lebensrealität oftmals noch schwerer.

Aus unserer Sicht ist die wichtigste Botschaft, dass es geplante Räume von Unmenschlichkeit und jenseits unserer Vorstellungskraft gab und gibt. Die Aufgabe einer humanen Gesellschaft liegt darin, diese auszuleuchten, Betroffenen zu helfen und ihnen echte Teilhabe zu ermöglichen und den Wandel zu einer menschlicheren Gesellschaft nicht nur als Aufgabe der Betroffenen zu sehen. Sie haben gesprochen, mancherorts hat man sie gehört – manche Hilfe ist entstanden und in manchen Köpfen muss diese Realität erst noch ankommen. Es gibt also noch viel zu tun.

Wir hoffen, dass wir trotz aller Hürden und Hemmnisse in den nächsten beiden Jahren von einem erfolgreichen Verhandlungsergebnis ausgehen dürfen.

So sehen das auch die Fetzenfischchen in ihrer Auseinandersetzung mit den neun Lebensbereichen als Anspruchsgrundlage.